Ein Haus am Meer im Tiefschnee

TEXT & FOTOS: Dirk Wagener

Pistenbullys aus dem Schwarzwald, ein Secret Spot und eine einsame Holzhütte auf 2.100 Meter sind die Zutaten für Tiefschneeabenteuer im Kleinen Kaukasus.

Heliskiing in Alaska, ein Road-Trip im Campervan durch British Columbia oder der Ski- touren-Segeltörn in Nordnorwegen – so sehen nach gängiger Vorstellung die großen Freeride-Träume aus, die Powder-Freaks unbedingt einmal im Leben aus der halluzinatorischen Tiefschlaf-Phase in die traumhafte Realität umsetzen wollen. Aber wie so oft im Leben: Weniger ist manchmal mehr. Wäre eine einsame Hütte hoch oben in komplett abgeschiedenen, tief verschneiten und weitgehend unbekannten Bergen nicht der bessere Wachtraum? Wenn dann noch ein Pistenbully mit Personenkabine, ein kompetenter Cat-Driver und ein Tank mit viel Diesel zur Verfügung stehen, fleißige Köchinnen und Helfer für exquisites Essen und ein fortwährend knisterndes Kaminfeuer sorgen und vor der Hüttentür ununterbrochen die Flocken hinabrieseln, dann hört sich das wirklich nach fantastischen Bedingungen an, die aus der Traumwelt geboren sind. Aber bei Project X im Kleinen Kaukasus, am neuen Spot von Georgiens Catskiing-Pionier Ingo Schlutius, werden solche komplexen Freeride-Träume tatsächlich zur Realität.

„Irgendwo, wo es schön warm ist, immer die Sonne scheint und mir nie kalt ist“, antwortet der Georgier Tengo Tunadze auf die Frage nach seinem Traumreiseziel. Tja, man sehnt sich anscheinend immer nach dem, was man nicht hat. Tengo hat von Oktober 2022 bis März 2023 nahezu den kompletten Herbst und Winter auf über 2.000 Meter Höhe im westlichen Teil des Kleinen Kaukasus verbracht. Mit 600 Kilometern Länge und bis zu 120 Kilometern Breite ziehen sich dessen Gipfel zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer durch die Territorien von Georgien, Armenien und Aserbaidschan. Geografische Aspekte des kleineren Bruders, des nördlich gelegenen Hohen Kaukasus, interessieren Tengo und seinen Auftraggeber Ingo Schlutius aber nur in einer Hinsicht: Wo fällt der meiste Schnee? Dazu haben sie alte Militär-Niederschlagsstatistiken und Wetteraufzeichnungen von ehemaligen sowjetischen Meteorologiestationen aufgespürt und sind im nordwestlichen Teil des auch Anti-Kaukasus genannten Gebirges fündig geworden.

Etwa 20 bis 30 Kilometer Luftlinie von der georgischen Hafenstadt Batumi und den Stränden des Schwarzmeers entfernt, da wo die ersten schroffen Bergketten aufragen, genau dort fällt der meiste Schnee. Das hat mit einer geografischen Besonderheit zu tun. Hier in der südöstlichen Küstenregion des Schwarzen Meeres krachen die eintreffenden Tiefdruckgebiete auf einen Wall aus Gebirgszügen. Das Pontische Gebirge im Nordosten der Türkei, dessen erste Dreitausender bereits einige Kilometer landeinwärts aufragen sowie der ganze westliche, küstennahe Teil des Kleinen Kaukasus, mit Bergen wie dem fast 2.700 Meter hohen Taginauri oder Khino bilden eine natürliche Barriere. Diese zwingt die Tiefdruckgebiete, die sich vorher bei ihrer Reise über dem Meer vollgesaugt haben wie ein Schwamm, gnadenlos zur Ausquetschung. In den Wintermonaten gipfelt Frau Holles Mausefalle in zum Teil monströsen Schneemengen. „Ein Paradies für Powder-Menschen!“, sagt Tengo und meint damit alle jene Tiefschneefreaks, die abseits von präparierten Pisten in unverspurten Hängen ihr Glück suchen und dabei einen Rausch empfinden, den keine Designer- Droge dieser Welt nachahmen kann.

Ihr ultimatives Schneeloch im Kleinen Kaukasus hatten Ingo und Tengo also identifiziert. Aber was nützt das in einer Gegend, die keinerlei Infrastruktur, Verkehrswege oder touristische Nutzung aufweist? Wenn überhaupt, dann musste jetzt alles ganz schnell gehen, denn in den Hochlagen kommt der erste Schnee oft schon im Oktober. Schließlich musste eine Hütte mitsamt Zufahrt ganz oben in dieser verlassenen Bergwelt errichtet werden. Nur so könnte man autark und in Abgeschiedenheit Wintersport betreiben. Mobilität zum Powdern würden umgebaute Pistenbullys mit Personenkabine für bis zu zwölf Personen garantieren. Damit haben Ingo (als Organisator) und Tengo (als Pistenbully-Fahrer) schon seit 2016 Erfahrung. Damals startete Ingo mit seinem powderproject.ch im benachbarten, 1.900 Meter hohen und im Winter verlasse- nen Bergdorf Bakhmaro ein ähnliches Tiefschnee-Angebot, das zum absoluten Erfolg wurde. Aber jeder Erfolg zieht Nachahmer nach sich. Und Ingo und Tengo wollten zu- rück zu den Ursprüngen. Einsam und konkurrenzlos Powdern im Nirgendwo « (…)

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