Eis Zeit

TEXT: Evelyn Marunde, David Guzzardi

FOTOS: Thomas Monsorno

Vereiste Wasserfälle, Gletscherhöhlen und ständig drohendes Unwetter: Mit Extrembergsteiger Dani Arnold auf der Suche nach immer neuen Herausforderung im ewigen Eis Islands.

Minusgrade, Sturm, Windböen bis zu 150 km/h und große Mengen Neuschnee, ein Unwetter zieht auf uns zu. Island zeigt, was wir im Februar von der rauen Insel erwarten können. Ich starre in den Schnee und zweifle, mit dem Ausmaß hatte ich nicht gerechnet. Können wir die Tour unter diesen Bedingungen überhaupt antreten, die geplanten Routen klettern? Ich bin früher angereist, vielleicht sollte ich die Crew anrufen und noch vor Tourstart abbrechen. Bisher haben die Behörden keine Warnung herausgegeben, aber es sieht nicht gut aus.

Gemeinsam mit Dani Arnold, einem der besten Extremalpinisten der Welt, planen wir auf die Suche nach neuen Herausforderungen zu gehen. Vereiste Wasserfälle, Gletscherspalten, Eisüberhänge und ins raue Meer abfallende Klippen – diese Insel ist ein riesiges Spielfeld und bietet Kletterern einzigartige Eisstrukturen. Ich halte Rücksprache mit den anderen Expeditionsteilnehmern und aufgrund der übrigen Rahmenbedingungen, die grandiose Eisverhältnisse versprechen, lassen wir unsere Euphorie nicht von Wetterprognosen bremsen. Die anderen reisen an. Außer Dani und mir sind Martin, sein langjähriger Begleiter und erfahrener Bergführer, sowie Thomas und Lukas, zwei begnadete Fotografen und Filmer dabei.

Unser erstes Ziel: der Glymur-Wasserfall, mit 198 Metern der zweithöchste Wasserfall Islands. Um dorthin zu kommen, stapfen wir schwer beladen mit Kletterausrüstung und Kameraequipment durch den teilweise kniehohen Schnee. Trotz beißend kalter Luft kommen wir gut aufgewärmt an und schauen in eine enge und unfassbar tiefe Schlucht. Der Wasserfall knallt ohrenbetäubend auf Eisplatten und Schneepodeste, die Wände sind durch verwehte Tropfen komplett gefroren. Unzählige Seemöwen schießen laut kreischend durch die Schlucht, sie haben ihre Nester hier in die Felsnischen gebaut. Was für eine Kulisse, wir verstehen angesichts dieser Symphonie der Natur unser eigenes Wort nicht.

Zunächst sichern das Kamerateam und ich uns auf der anderen Seite der Schlucht mit einem Seil – wir wollen die besten Bilder und kommen dem Klippenrand deshalb sehr nah. Dani und Martin drehen in einem klar definierten Winkel Schrauben ins Eis, sogenannte Eissanduhren, und seilen sich daran ab. Eiszapfen brechen, stürzen Hunderte Meter in die Schlucht und explodieren auf den Felsen wie Kristallglas. Etwa 40 Meter über dem eiskalten Fluss bleiben die beiden auf einem Felsvorsprung stehen. Der Funkkontakt über die Walkie-Talkies bricht ab und auch Dani und Martin können sich bei der Lautstärke nicht untereinander verständigen. Jetzt gibt es kein Zurück mehr, sie müssen den Aufstieg schaffen – unten existiert kein Weg aus der Schlucht. Sie orientieren sich lange und klettern dann los, direkt neben dem tosenden Wasserfall, auf fragilem Eis, die Linie ist unglaublich ausgesetzt. Die vielleicht erste Besteigung des Glymur-Wasserfalles gelingt. Später probiere ich es auch, allerdings nicht im Vorstieg. Von Dani abgeseilt, baumle ich sicher über dem Fluss, trotzdem schießt Adrenalin durch meinen Körper. „Jetzt lass bloß den Pickel nicht fallen!“, ruft Dani lachend. Mit dieser Erfahrung wächst der Respekt vor den Profis noch mehr. Überglücklich und mit tollen Aufnahmen im Gepäck belohnen wir uns abends mit Pasta und Bier.

Frühmorgens machen wir uns am nächsten Tag auf die Suche nach einem kleinen Seitental, die Isländer nennen es Bæjargil. Ein Tipp von Matteo, ein Freund aus dem isländischen Alpinclub „Isalp“. Hier gibt es einen Hang, der so hoch ist, dass die Bewohner des nächstgelegenen Ortes im Winter 25 Tage lang die Sonne überhaupt nicht zu Gesicht bekommen. Eiskletterlegende Will Gadd hat sich 1998 mit mehreren Routen im Hang verewigt. Wir wollen auf seinen Spuren klettern. Bisher hält sich das Wetter, aber die Fahrten werden in diesen abgelegenen Regionen zur Rutschpartie auf ungeräumten Straßen. Am Kletterspot angekommen, umgeben uns riesige Wände. Wasserfälle sprühen Unmengen eisiger Tropfen in die Luft, die eine besondere Eisform bilden: das „Shrimp Ice“. Tatsächlich erinnert es an viele hängende Shrimps, ist weltweit kaum zu finden und für Eiskletterer extrem anspruchsvoll. Es ist fragil und bricht schnell weg. Jeder Pickelschwung, jeder Schritt muss vorsichtig getestet werden.« (…)

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