Towers oft he Ennedi – Wüstenfelsklettern im Tschad

Text: James Pearson
Fotos: Jimmy Chin
Skurrile Felsformationen inmitten der Wüste: Das Ennedi-Hochland im zentral afrikanischen Tschad hält spektakuläre Landschaftsformen bereit. Und übt eine Faszination auf drei Kletterer aus, die wohl nur Gleichgesinnte vollständig verstehen. Warum sonst würde man sich in das krisengeschüttelte Land begeben, in dem Überfälle nicht die einzige Überraschung bleiben? Ein in heißen Wüstensand eingehülltes Kletterabenteuer. Mit verrückten Typen auf der Suche nach der perfekten Linie im Felsen. Erstbesteigungen inklusive.
Als ich Mark Synnott zum ersten Mal traf, ging ich mit ihm essen. Er erzählte mir, dass er sich einmal auf einer Tour in die Hosen gemacht hätte. Im Bett eines polnischen Bergsteigers. In diesem Moment wusste ich: Mit diesem Kerl willst du Abenteuer erleben! Die
Republik Tschad gehört zu den ärmsten Ländern auf diesem Planeten. Der Weltentwicklungsbericht sieht das Land auf Platz 165 von 175. „Das tote Herz von Afrika“, wie das Land oftmals genannt wird, liegt im Zentrum Afrikas, umgeben von Kamerun, der Republik Zentralafrika, Libyen, Niger, Nigeria und dem Sudan. Armut, Korruption und politische Gewalt plagen das Land. Die humanitären Bedingungen sind in einem kritischen, wenn nicht gar katastrophalen Zustand. Seit 2003 exportiert das Land Erdöl, heute größtes Exportgut. Man würde sich wünschen, dieser kostbare und im Überfluss vorhandene Rohstoff habe positiven Einfluss auf die heimische Wirtschaft. Doch leider profitieren wie so oft andere. Aber all dies füllt ein anderes Kapitel, hier geht es ums Klettern – wie außerordentlich umsichtig von mir.
Die Expedition in die Ennedi-Wüste im Tschad war Marks Idee. Er liebt den unentdeckten Fels, war auf Baffin Island nahe dem Polarkreis, im Amazonasbecken und auf einigen geierverseuchten Geheimtipps Afrikas unterwegs. Zudem sollte Alex Honnold, Free Soloist und einige weitere Athleten, Teil des Teams werden. Der Typ ist jetzt schon eine Legende für seine Aufstiege ohne Seil an Routen wie Half Dome im Yosemite-Nationalpark. Mehr wusste ich erst mal nicht. Keine Anleitung, keine Bilder, keine richtige Zielvorgabe. Neugierig auf eine Reise mit diesem verrückten Vogel Mark sagte ich zu – das musste einfach ein Knaller werden. Als der Abflugtag näher rückte, bekam ich mehr und mehr Bilder der Region zu Gesicht. Und ich begriff langsam den vollen Umfang dieser Expedition und die Fülle an Möglichkeiten. Die Region sah schier unwirklich aus. 60.000 Quadratkilometer Wüste voller bizarrer Sandsteinformationen. Uneroberte Wüstentürme und Gesteinsbögen, mehr zu klettern, als man jemals schaffen könnte. Es gab nur ein Problem …
„Die allgemeinen Reisehinweise haben sich nicht geändert; wir empfehlen, von aktuellen, nicht zwingend notwendigen Reisen in die Hauptstadt N‘Dja mena sowie von sämtlichen Reisen in andere Regionen des Tschad abzusehen. Es bestehen weiterhin Gefährdungen durch terroristische Angriffe und Entführungen. Überfälle können willkürlich und oftmals mit exzessiver Gewalt geschehen.“ Foreign & Commonwealth Office.
Ein gewisses mulmiges Gefühl überfällt mich, als ich mit meinen Leuten im Flieger von Paris nach N‘Djamena sitze. Wir treffen Piero Rava in der Abfertigungshalle. Der pfeiferauchende Italiener ist ein alter Hase der Wüste mit mehr als 40 Jahren Erfahrung darin, Menschen durch den ewigen Sand zu führen. Und scheint „ein guter Freund“ der Airport Security zu sein, so schnell, wie wir durch den Zoll flutschen. So funktioniert es im Tschad. Und es ist erstaunlich, was ein paar schmierige Handflächen für eine Wirkung erzielen.
Nach einem Berg von Papierkram fallen wir in die harten Betten eines chinesischen Hotels. Pünktlich auf die Minute laden Piero und seine Söhne am nächsten Morgen unserevielen schweren Taschen in die drei etwas erschöpft aussehenden Offroader. Eine dicke Abdeckplane drüber und schon rollen wir hinaus auf die Pisten des Tschad. Was du auf den Straßen am wenigsten erwartest, sind nicht etwa die Tiere, die die Fahrbahn kreuzen. Oder die verfallenen Lehmhütten am Straßenrand.
Es ist die Militärpräsenz. Wo auch immer du hinschaust, siehst du Männer in Camouflage. Piero macht uns schnell klar, dass Fotografieren hier nicht die beste Idee ist. Die über den Schultern der Männer hängenden Schnellschussgewehre überzeugen zusätzlich. Scheinbar willkürlich dirigiert Piero unseren Konvoi plötzlich von der Fahrbahn und in den Sand. Nach einigen Kilometern erklärt er uns, dass dies die „Straße“ nach Ennedi sei. Sie besteht aus ein paar Spuren im unebenen Sand und ist angeblich die drittgrößte Verkehrsader im Tschad. Wir folgen ihr für die nächsten 800 Kilometer.
Mit jeder Stunde, die vergeht, sehen wir weniger Bäume, weniger Tiere und weniger Menschen. Bis es sich so anfühlt, als wären da nur noch wir. Wir und ein Meer aus Sand. Ich fühle mich hier in der Wüste wie am abgelegensten Ort der Welt und bin ohne jegliche Orientierung. Die Sicherheit meines Lebens liegt in den Händen unseres Guides. Gelegentlich schickt uns Piero zu Fuß in das Nichts, während er die Wagen neu bepackt. Er zeigt einfach in eine Richtung und sagt „Lauft geradeaus“. Das macht mich fertig. Alle paar Minuten schaue ich über meine Schulter, um mich zu vergewissern, dass die Fahrzeuge noch zu sehen sind. Nach vier Tagen Fahrt sind wir am Ziel. Am Horizont erscheint der Fels. Anfangs ist es nur etwas mehr als eine Luftspiegelung. Stunden später aber werden die Formationen klarer. Beeindruckende komplexe Felstürme und Steinbögen liegen da vor uns. Gibt es begehbare Routen? Ist der Fels zu brüchig? Können wir überhaupt klettern? Nach vier sitzend im Geländewagen verbrachten Tagen brennen wir darauf, es auszuprobieren.Noch vor Antritt der Reise entschied ich mich für zwei Dinge, mit denen der Trip für mich ein voller Erfolg werden würde: ein Kamel zu reiten und mit einem Geländewagen eine riesige Düne hinaufzufahren. Augenscheinlich wären Erstbesteigungen von Wüstentürmen auf atemberaubenden Routen ein netter Bonus. Aber mir ist es wichtig, Prioritäten zu setzen und meine Wünsche nicht zu sehr herauszufordern. Zufriedenheit erreichst du schneller, wenn du deine Erwartungen niedrig hältst. Alles an dem bisherigen Trip sieht nach einem guten Start aus ….