Tauchgang ins Labyrinth der Tiefe

Text: Sebastian Hess/ Christian Bahr
Dean’s Blue Hole auf den Bahamas ist die tiefste Meereshöhle der Welt: wunderschön – und ziemlich gefährlich. Wer hier taucht, riskiert sein Leben. Ein Mann hat es dennoch getan …
Ein paar Schnorchler paddeln in der kleinen Bucht westlich von Clarence Town auf den Bahamas. Immer wieder schauen sie zum Eingangsschacht von Dean‘s Blue Hole, dort unten in 20 Metern Wassertiefe. Aus der Finsternis steigen Blasen auf. Es sind Lebenszeichen aus einer Region, die weniger als eine Handvoll Menschen je mit eigenen Augen sehen werden. Denn Dean’s Blue Hole auf den Bahamas ist die tiefste und größte Seewasserhöhle des Planeten. Jim King ist der bisher Einzige, der je versuchte, ihren Grund zu berühren.
„Wer das Blue Hole von oben betrachtet, sieht ein Schlüsselloch“, sagt Jim King. „Der Raum jenseits davon, das Geheimnis dieser riesigen mit Meerwasser gefüllten Grotte, aber bleibt verborgen. „Der Profitaucher gehört zu den erfahrensten Mitgliedern des US Deep Caving Teams, einer Vereinigung von Wissenschaftlern, Technikern und Abenteurern, die seit mehr als 30 Jahren die tiefsten Höhlen der Erde erforschen. „Uns geht es um die letzten Grenzen der Menschheit“, sagt King. „Das Dean‘s Blue Hole der Bahamas ist eine davon.“
In 70 Metern Tiefe ist das Blue Hole längst tiefschwarz. Der Einstiegsschacht hat sich zu einem gewaltigen Dom geweitet, dessen schroffe Wände im Nirgendwo verschwinden und nur im gleißenden Lichtkegel der Tauchlampe erkennbar sind. Am Rande der Wand hat King sein erstes Basislager errichtet. Eine Muräne lauert auf Beute. Bis hierher hat er fast 40 Minuten gebraucht, schon jetzt lasten 80 Kilo Druck auf jedem Quadratzentimeter seines Körpers. Doch der Boden des Blue Hole ist noch lange nicht erreicht. „Das Problem beim Gerätetauchen ist das Ver- halten der Gase bei zunehmendem Druck“, sagt Jim King. „Je tiefer wir gehen, desto mehr Atemgas wird ins Blut gepresst.“ Das genaue Gegenteil des Höhenbergsteigens – eine Art Mount Everest der Tiefe.
„Sporttaucher verwenden Pressluft. Das sind 21 Prozent Sauerstoff und 78 Prozent Stickstoff. An der Oberfläche ist das kein Problem. Spätestens in 70 Metern Tiefe aber wird reiner Sauerstoff giftig und Stickstoff zu einem extrem wirksamen Narkosemittel.“ Deshalb beginnt jenseits des Basislagers jener Bereich, in dem nur hoch spezialisierte Profis tauchen sollten. Denn statt Luft können hier nur noch auf den Milliliter genau abgestimmte Trimix-Gase geatmet werden. Ab sofort füllt King seine Lunge mit 15 Prozent Sauerstoff, 55 Prozent Helium sowie Stickstoff. „Eine sogenannte 15/55-Mischung.“ Doch auch damit wird er den Grund des Blue Hole noch nicht erreichen.
Bei 140 Metern Tiefe hat King sein zweites Zwischenlager erreicht. Erneut muss das Atemgas gewechselt werden. Inzwischen ist er über zwei Stunden unterwegs.Plötzlich strömt Wasser aus einem Seitengang, drückt ihn von der sicheren Wand weg hinaus ins schwarze Nichts der Meereskathedrale. Er kämpft mit Orientierungsproblemen, während sein Blick immer wieder zum Tiefenmesser wandert. Zehn Meter nach oben oder unten bedeuten ein Bar Druck mehr oder weniger. Doch das Gasgemisch in seinem Körper kennt klare Grenzen – und bestraft deren Überschreiten gnadenlos…