Gangster’s Paradise

Text: Oliver Kuhn
Fotos: Florian Wagner
Die amerikanische Regierung lässt Wildpferde jagen. Und sie dann von Schwerverbrechern zureiten. Eine Reportage über die Freiheit im Wilden Westen.
Ein Kinderschänder wird ihm später einmal den Namen Alpha geben. Doch das ahnt der schwarze Hengst noch nicht. Er weiß noch nicht einmal, dass es Menschen gibt. Der Leithengst lebt mit seinen vier Stuten und drei Fohlen in der Red-Desert Wüste in Wyoming. Ein Gebiet, größer als Los Angeles. In einem Radius von 100 Kilometern ist nichts als Sand, Berge und Sträucher aus zähem Fettgras. Nur wenige Tiere ertragen Gluthitze, Dürre und klirrenden Frost. Manchmal wandern Elche vorbei und magere Antilopen. Oder Hengste, die ihm seine Stuten streitig machen wollen.
Der Rappe spitzt die Ohren. Er hört ein Knarren. Es gibt kein Tier, das so ein Geräusch machen könnte. Das Dröhnen wird immer lauter. Plötzlich taucht etwas auf, das aussieht wie eine Fliege. Nur viel größer. Und viel lauter. Der Hengst scharrt nervös mir den Hufen, schnaubt eine Warnung und galoppiert mit seiner Sippe davon. Die acht Mustangs tauchen in eine Staubwolke. Die lärmende Riesenfliege m Der Hubschrauber treibt die Pferdefamilie. Viele Kilometer quer durch die Wüste. Der Hengst ist nass geschwitzt und erschöpft, als er an einem braunen Zaun entlangrennt, der V-förmig zusammenläuft. Als der Hengst merkt, dass er in eine Falle läuft, ist es zu spät. Dave Canttoor hat hinter ihm das Tor des Gatters geschlossen.
Dave ist der Obercowboy der amerikanischen Regierung. Der 60-Jährige mit der schwarzen Bomberjacke und der verspiegelten Sonnenbrille hat in seinem Leben schon 100.000 Wildpferde eingefangen. Heute gibt es rund 40.000 Mustangs im Westen Amerikas. Vor 100 Jahren grasten noch zwei Millionen ungezähmte Pferde auf den weiten Prärien zwischen Mexiko und Kanada.
Im Alter von 14 Jahren hat Canttoor das erste Mal mit dem Lasso ein Wildpferd gefangen. Er verkaufte es für zwei Dollar als Hundefutter an einen Schlachthof. Viele Cowboys verdienen in den 50er- und 60er Jahren ihren Whiskey damit, Mustangs zu jagen. Die schlimmsten Tage der amerikanischen Wildpferde beschreibt Marilyn Monroes letzter Film „The Misfits“ aus dem Jahr 1960. Clark Gable spielte einen typischen Cowboy, der für eine Hand voll Dollar die wilden Gäule hetzt und verhökert – ein grausames Geschäft mit den schönen Geschöpfen. Die Mustangs drohten auszusterben: Anfang der 70er-Jahre versteckten sich kaum mehr als 17.000 von ihnen in unzugänglichen Canyons und Wüsten. 1971 unterschrieb der amerikanische Präsident ein Gesetz, um die „lebenden Symbole des historischen Pioniergeistes“ zu schützen. Seither wacht der Staat über die Wildpferde. Sie haben keine natürlichen Feinde mehr und vermehren sich sprunghaft. Doch das Gesetz soll auch die Interessen der Rancher wahren. Die Wildpferde fressen den Rindern das spärliche Steppengras weg. Das Büro für Landmanagement des Innenministeriums will die Zahl auf 15.000 reduzieren. Allein in Wyoming treiben sie 1400 Tiere mit Helikoptern in einen Hinterhalt.
Dafür wird die Behörde von vielen Tierschutzorganisationen verurteilt. Sie halten den angestrebten Bestand für zu niedrig und die Treibjagd für Tierquälerei. Für Dave ist es einfach nur ein harter Job. Letztes Jahr ist Pilot Cliff Haefron mit seinem Helikopter aus zehn Meter Höhe abgestürzt. Er blieb unverletzt. Cowboy-Kollege Vic Domat fiel bei der Treibjagd vom Pferd. Er kam gerade mit zwei neuen Knien aus der Klinik.
Der Hengst und seine Familie stehen ängstlich, aber erstaunlich ruhig im Gatter. Das Alter entscheidet, was mit ihnen passieren wird. Der Tierarzt holt sie einzeln in eine Box und bestimmt anhand ihrer Zähne das Alter. Pferde, die zwischen einem und fünf Jahren oder über zehn Jahre alt sind, kommen auf die Trucks und werden abtransportiert. Die jungen Tiere werden zur Adoption freigegeben oder zugeritten. Die alten werden auf riesigen Gnaden-Ranchs gehalten. Pferde zwischen sechs und neun Jahren haben Glück. Sie gelten als zu stur, um noch als Reitpferde geschult zu werden. Sie dürfen zurück in die Freiheit. Unvermittelt springt ein brauner Hengst über die Absperrung ….