Auf Pilgerfahrt in Osttibet

Foto: Martin Bissig

Text: Gerhard Czerny

An den Umgang mit Stäbchen beim Essen habe ich mich gewöhnt. Woran ich mich aber nur schwer gewöhnen kann, sind die Entenköpfe, welche von Zeit zu Zeit in meinem Hot Pot, einer Art chinesischem Fondue, an die blubbernde Oberfläche getrieben werden. Zurückhaltend versuche ich zwischen ihnen und diversen, umherschwimmenden Innereien, ein paar Gemüse- oder Tofustücke zu ergattern, um meinen vegetarischen Appetit zu stillen. Eine echte Herausforderung wie ich feststellen muss. Als die nächste Ladung Fischköpfe im feuerroten Sud verschwindet, streiche ich endgültig die Segel und beschließe für heute genug gegessen zu haben. Für den Rest des Abends bleibe ich bei Jasmintee.

Gemeinsam mit drei Fahrern des „Liteville Enduro Team China“, Kevin, Jin und Ansel, sitze ich hier beim Abendessen in Shangri La. Seit zwei Tagen sind wir Richtung Tibet unterwegs. Wir haben uns vorgenommen, den östlichen Teil einer sogenannten Kora, einem Pilgerweg, um den Berg Kawa Karpo, zu befahren. Für die Tibeter ist die Umrundung des für sie heiligen Berges eine rituelle Handlung. Der Berg stellt für sie die Manifestation des Geistes Buddhas dar und mit der Umrundung hoffen viele Buddha näher zu kommen. In besonderen Jahren des tibetischen Kalenders pilgern hier zigtausende Buddhisten im Uhrzeigersinn um den Berg.

In Dequin, einer Stadt im äußersten Norden der Provinz Yunnan, treffen wir auf unseren „Horseman“. Gemeinsam geht es zum Einkaufen auf den riesigen Markt. Recht verloren stehen wir da, weil niemand von uns eine Ahnung hat, wie viel Lebensmittel wir brauchen werden. Zum Frühstück wird es Nudelsuppe, mittags Kekse und Schokolade geben, abends Reis und Gemüse. So der Essensplan. Na dann, nur nicht zu wenig einkaufen, unterwegs hungern ist eine Worst-Case-Vorstellung. Vor allem angesichts der zu erwartenden Anstrengung. In großen, weißen Säcken transportieren wir unseren Einkauf zu einem winzigen Bus. Vollgepackt bis unters Dach reicht der Platz nicht für uns alle. Daher schwingen wir uns auf die Räder. Der Bus fährt vor, die Ware wird ausgeladen, dann sammelt der Fahrer uns am Straßenrand ein, um zum Treffpunkt mit den Pferden in einem kleinen tibetischen Bergdorf zu gelangen. Wir haben unten im Tal die Grenze nach Osttibet passiert, die nur durch einen spärlich besetzten Checkpoint in einem winzigen Zelt am Straßenrand erkennbar ist. Das Gepäck wird gewogen, auf die Pferde verteilt und wir packen unsere Tagesrucksäcke. Vier Pferde benötigen wir nun mit dem ganzen Essen, sonst wird die Last zu schwer für die Tiere. Bevor wir starten dürfen, muss noch eine Vereinbarung über die Leistung und Zahlung unterzeichnet werden. Das erfolgt nicht mit Stift und Unterschrift, sondern mit Stempelkissen und Fingerabdruck. Erst nachdem vier rote Fingerabdrücke auf dem Papier verewigt sind, dürfen wir los.

Unser „Horseman“ verabschiedet sich von uns. Er kommt nicht mit auf die Tour. Seine Frau und ein Verwandter begleiten uns mit den Pferden. Sie sind schon vorausgegangen und wollen uns am ersten Camp erwarten. Von nun an sind wir auf uns allein gestellt, ohne Telefonempfang, ohne Internet oder sonstigen Kontakt zur Außenwelt. Wir müssen alles bei uns haben was wir brauchen und uns selber helfen, wenn irgendetwas passiert. Ein Höhenprofil und eine ungenaue digitale Karte sind alles, was wir zur Orientierung haben. Aber laut dieser gibt es nur einen Weg über die Berge.

Wir klatschen ab, treten in die Pedale und tauchen sofort in eine völlig andere Welt ein. Wie in einer Achterbahn schlängelt sich der Weg hinab in den Wald in einem Tunnel aus Gebetsfahnen. Tausende von ihnen hängen, in bunten Farben wehend, rechts und links am Wegesrand des etwa 50cm breiten und (…)

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