Am Ende war da kein Scheitern

Text: Celine Lorenz, Lukas Schulz
Fotos: Daniel Gierig, zooom
Red Bull X-Alps 2025: Wie Celine Lorenz als einzige Frau ihren eigenen Weg durch das härteste Abenteuerrennen der Alpen geht.
33 Athleten stehen an der Startlinie – an sich schon eine eindrucksvolle Zahl für ein einmonatiges Extrem-Abenteuer. Doch dazwischen sticht eine heraus: die Deutsche Celine Lorenz. Als einzige Frau mischt sie beim Red Bull X-Alps 2025 im härtesten Outdoor- Event der Welt mit, bei dem Leistung, Durchhaltevermögen und mentale Stärke weit über das Übliche hinausgehen. Mehr als 1.200 Kilometer durch die atemberaubende, aber gnadenlose Alpenlandschaft – zu Fuß und im Gleitschirmflug. Von Tirol über Deutschland, die Schweiz, Italien und Frankreich bis hoch zum Mont Blanc und dann zurück an den Zeller See. Ein Rennen gegen die Elemente, in dem keine Sekunde Langeweile aufkommt und kein Fehler ungestraft bleibt.
Seit der Premiere im Jahr 2003 hat sich das Red Bull X-Alps zu einer Legende entwickelt. Jedes zweite Jahr stellen sich mutige Athleten dieser Herausforderung, bei der Gehzeit, Flugzeit, strategische Planung und ein Team aus Helfern Hand in Hand gehen. Das Ziel? Möglichst schnell die 16 festgelegten Turnpoints abfliegen oder erwandern, und das alles nur mit der Kraft der eigenen Muskeln und dem Gleitschirm als Transportmittel. Kein Motor, kein Rad, kein anderes Fahrzeug erlaubt – außer dem Piloten und seinem Support Team, das ihn von außen mit Essen, Navigation, Psychologie und Motivation unterstützt. Im Fokus steht die permanente Entscheidung zwischen Risiko und Sicherheit, zwischen Kraftreserven und Mut zur Thermik. Von den 33 Startern schaffen es oft weniger als ein Drittel das Ziel innerhalb des zwölf Tage langen Zeitlimits zu erreichen. Für viele ist der Höhepunkt allein schon, kilometerweit durch wildes Gelände zu wandern – und dabei nicht aufzugeben. Celine gibt Einblick in ihr Tagebuch des Rennens.
TAG 1 – VOLL UND GANZ SPÜREN
Kitzbühel, AT – Sexten, IT
„Der Start der X-Alps fühlt sich an wie ein Blitz aus einer anderen Welt. Alleine die Geräuschkulisse – das Murmeln der Zuschauer, die Motoren der Kameradrohnen, das Flattern der Gleitschirme – ist überwältigend. Ich kann es nicht fassen, dass ich mittendrin bin. Meine Familie, meine engsten Freunde – sie sind gekommen und geben mir Kraft.“ Nervosität mischt sich mit Vorfreude, als Celine neben Chrigel Maurer, dem Rekordhalter mit sieben Siegen, steht. Ihr Respekt vor den Männern im Feld ist groß, doch es ist kein Vergleich, keine Konfrontation, die sie sucht. Sondern das bewusste Erleben dieses Moments, dieses Startschusses für ein Abenteuer, das mehr als ein Rennen ist. „Ich weiß, dass ich beim ersten Marsch nicht mit den Jungs mithalten kann – also will ich genießen, was vor mir liegt.“ Voller Leidenschaft und mit einer tiefen Verbundenheit zu ihren Bergen und dem Fliegen ist Celine zurück nach einem verletzungsbedingten Abbruch 2023. Sie hat tagtäglich an Kraft und Technik gefeilt – und vor allem an ihrem Kopf.
TAG 2 – SICHERHEIT GEHT VOR
Sexten, IT – Meraner Hütte, IT
„Der Morgen startete ruhig, doch direkt nach dem ersten Flug kam der Föhn auf. Die Luft wurde kräftig durchgerüttelt, und ich geriet in Schwierigkeiten. Für einen Moment wollte ich einfach loslassen, aufgeben. Doch dann sammelte ich mich, landete früh und sicher auf einem Hochmoor.“ Das Rennen bringt nicht nur körperliche Erschöpfung, sondern auch ständig neue Herausforderungen. Für Celine ist es ein Lehrstück in Geduld und Kontrolle. Sie trifft unterwegs den erfahrenen Österreicher Samuel Tanner, mit dem sie kurz gemeinsam fliegt. Die halbe Stunde Austausch und das Gefühl, nicht alleine zu sein, geben neue Kraft.
TAG 3 – MAGIE LIEGT IN DER LUFT
Meraner Hütte, IT – St. Moritz, CH – Julierpass, CH
„Fliegen von Meran nach St. Moritz – wo jeder Moment zählt. Zäh und schwer, doch ich halte durch. Ein Lächeln in der heimischen Konditorei, ein Foto am Turnpoint, der Aufstieg zum Julierpass – eine kleine Feier auf meinem Weg.“ Solche Tage sind Balsam für die Seele der Athleten. Inmitten des Dauerstresses gibt es Augenblicke voller Schönheit, die entschädigen und antreiben.
TAG 4 – DIE MENTALE ZERREISSPROBE
St. Moritz, CH – Disentis, CH – Grimselpass, CH
„Mentale Stahlbetonwände schieben sich vor mich. Jeder Schritt wird zur Qual, jeder Flug zur Aufgabe. Kein Fortschritt, kaum Hoffnung trotzdem kein Aufgeben.“ Das X-Alps ist härter als alle Rennen, nicht selten auch psychisch der ultimative Test. Für viele Athleten schleicht sich das Gefühl ein, zwischen Wahnsinn und größter Erschöpfung zu stehen.
TAG 5 – DER KATASTROPHENTAG
Disentis, CH – Grimselpass, CH
„Die Leewalze war ein Albtraum. Ich musste notlanden – auf der falschen Flussseite eines Gletschers. Der folgende Fußmarsch? Sieben Stunden quälende Einsamkeit und nackte Strapazen durch unwegsames Gelände ….