Between Ruins and Remoteness

Text & Fotos: Roman Lachner
In den letzten Jahren hat sich Spitzbergen zu einem wahren Geheimtipp für Skitouren Enthusiasten entwickelt. Kein Wunder: Neben schneesicheren Bedingungen und einer atemberaubenden Landschaft begeistert der Archipel mit einer einzigartigen Tierwelt und verlassenen Geistersiedlungen, die eine eindrucksvolle Kulisse für ungewöhnliche Abenteuer bietet.
Auf dem Rückweg von einem Nebengebäude zu seiner Unterkunft wurde Alexander Romanowski plötzlich von einem Eisbären überrascht. In den letzten zwei einsamen Jahren in Pyramiden war er oft diesen majestätischen Tieren begegnet und dieses männliche Exemplar kannte er bereits aus mehreren Begegnungen. Seit die russische Bergbausiedlung im Oktober 1998 beinahe fluchtartig verlassen wurde, lebte er größtenteils allein und war dafür verantwortlich, die Stromversorgung und das Heizsystem in dem verlassenen Außenposten aufrechtzuerhalten – warum auch immer. Inzwischen hatte er sich zum Bürgermeister von Pyramiden ernannt. So übersetzt es zumindest seine rechte Hand Andrej, der in Wuppertal als Lehrer gelebt hat und gut Deutsch spricht. In ihren verschmierten und öligen Arbeitsklamotten wirken die beiden wie ein eingespieltes Team. Nach dem Abendessen haben sie sich zu uns an den Tisch gesetzt, um mit uns ins Gespräch zu kommen und von ihrem Leben in Pyramiden zu erzählen.
„Das Tier kam damals immer näher und blieb schließlich nur zwei Meter vor mir stehen. Unsere Augen trafen sich in einem intensiven Blick, der die Zeit für einen Momentstillstehen ließ. Mein Herz schlug laut in meiner Brust, doch in diesem entscheidenden Augenblick blieb ich ruhig und fokussiert. Mit einer entschlossenen Bewegung setzte ichmein Gewehr an und zielte auf das riesige Männchen.“ Mit dieser Geste machte er dem Eisbären deutlich, dass dies die Grenze sei – ein unmissverständliches Zeichen, dass ein weiterer Schritt in seine Richtung der letzte Schritt sein könnte. Das Tier, so mächtig und imposant, zeigte eine unerwartete Intelligenz in seinen Augen, als ob es die Gefahr und die Tragweite des Moments erkannte. Schließlich drehte der Bär ab.
Wir stießen noch einmal mit einem Wodka an und bedankten uns für diese faszinierende Geschichte. Später erzählte unser Guide Ronny auf dem Dach des Hotels, dass er diese Erzählung inzwischen schon oft gehört habe. Er erinnerte sich jedoch, dass der Abstand bei seiner ersten Tour noch 20 Meter betragen habe und mit den Jahren immer kleiner geworden sei.
Eine Woche zuvor war ich mit einer Gruppe von Snowxplore-Wiederholungstätern in Longyearbyen gelandet. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich fest davon überzeugt, Spitzbergen sei eine gewöhnliche norwegische Insel. Während unseres Overnight-Aufenthalts in Oslo kam ich jedoch ins Zweifeln und mein geografisches Wissen schien etwas löchrig zu sein. Mein alter Freund Mathias stellte die entscheidende Frage: „Hast du deinen Reisepass dabei?“ Den hatte ich natürlich nicht eingesteckt. Wozu auch?! Ich hatte Norwegen bereits mehrfach zum Skifahren besucht und mein Personalausweis hatte mir immer gute Dienste geleistet. Mathias klärte mich auf, dass wir am nächsten Morgen nach Tromsø fliegen, dort einen Flugzeugwechsel vornehmen und dabei über eine Passkontrolle den Schengen-Raum verlassen würden – nur um erneut in den gleichen Flieger einzusteigen, diesmal mit dem Ziel Spitzbergen. Denn die Insel genießt einen Sonderstatus.
Die Nacht vor dem Flug war also alles andere als ruhig. Ich wälzte mich im Bett und fragte mich, ob ich ohne Reisepass die Kontrolle passieren dürfe. Es durfte nicht wiedersein, dass mir dieses Stückchen Erde verwehrt blieb. Schließlich war schon 2021 ein Trip nach Svalbard geplant gewesen, der den strengen Restriktionen der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen war. Und jetzt sollte es erneut scheitern nur wegen eines Reisepasses? Letztlich stellte sich die ganze Aufregung als völlig unnötig heraus, denn am nächsten Morgen konnte ich in Tromsø problemlos weiterreisen.
Spitzbergen, dessen Geschichte stark vom Bergbau geprägt ist, gehört zu Norwegen und wird von diesem Land verwaltet. Der rechtliche Rahmen für den Archipel wird durch den Spitzbergenvertrag von 1920 geregelt, den 46 Staaten unterzeichneten, die Norwegens Hoheit über Svalbard anerkennen. Der Spitzbergenvertrag garantiert zugleich allen Bürgern der Unterzeichnerstaaten gleiche Rechte auf Arbeit, Handel und Schifffahrt in der Region. Das bedeutet, Bürger dieser 46 Staaten können ohne weitere Bedingungen eine Arbeitsstelle annehmen oder ein Unternehmen gründen, was den relativ hohen Anteil nicht norwegischer Bewohner auf der Insel erklärt.
Ein wichtiger Aspekt des Vertrags sind die Regelungen zum Bergbau sowie die Verantwortung für die anschließende Rekultivierung der Landschaft und den Umweltschutz. Diese Punkte wurden im Svalbard Environmental Protection Act von 2016 detaillierter festgelegt. Dieser Gesetzestext gewährleistet, dass alle wirtschaftlichen Aktivitäten – einschließlich Bergbau und Infrastrukturprojekte umweltverträglich durchgeführt werden. Zudem enthalten die Vereinbarungen klare Richtlinien für den Rückbau von Infrastrukturen nach der Ressourcennutzung, um die natürliche Landschaft wiederherzustellen und die Umwelt nachhaltig zu schützen. Aha, nach einiger Google-Suche war ich zumindest etwas schlauer.
Schon auf der kurzen Shuttlefahrt vom Flughafen zu unserem vorübergehenden Quartier in Longyearbyen wurde uns klar, welche zentrale Rolle der Bergbau auf Spitzbergen gespielt haben muss – beziehungsweise noch immer spielt. Alte Fabrikgebäude und rostige Fördertürme zeugen als verrottende Relikte von einer Zeit, in der der Abbau von Bodenschätzen für Wohlstand sorgte. Doch 2025 hat die letzte Mine auf Spitzbergen geschlossen, denn längst hat der Tourismus …